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Flashback Christmas 2020


Obwohl die Weihnachtstage mit meinem Freund Hans in Berlin wirklich schön und vor allem kulinarisch reichhaltig waren, sind die vergangenen Tage auch sehr durch Flashbacks belastet. All diese Erinnerungen, die immer wieder vor meinen Augen vorbei ziehen sind mir eigentlich zu viel. Sie belasten und sind eigentlich nichts wert. Ereignisse sind der Vergänglichkeit übergeben worden, die für das hier uns jetzt nicht immer von Vorteil sind. Wenn es gute Erinnerungen sind, aus denen gute Emotionen hervorgehen, die positive Verhaltensweisen ermöglichen, hat man Glück. Sind die Erinnerungen eher trauriger Natur, wird es schwierig. Ich stelle fest, dass fast alle Erinnerungen eine gewisse Trauer mit sich bringen.


Ich sehe mich Weihnachten 2014, das ich ebenfalls bei Hans verbracht habe, tränenüberströmt in seiner Wohnung sitzen. Die Party im Berghain und im Kitkat davor, war zwar lustig aber beides konnte mich nicht von meinem Allgemeinzustand ablenken. Mir ging es so beschissen wie niemals zuvor. Ich konnte nicht mehr gerade aus denken und wusste nicht, wie ich wieder normal werden könnte. Heute vor sechs Jahren, so ungefähr um diese Zeit, gegen 13 Uhr nahm ich den Zug nach Hause. Selbst da war ich nur am Heulen. Morgen, am 28.12., gegen 9 Uhr vormittags, war der Höhepunkt erreicht und ich nahm mir mein Leben. Danach wurde ich irgendwann wiederbelebt und erwachte 24 Stunden später an Händen und Beinen gefesselt in einem Intensivkrankenbett mit tausend Schläuchen und Kabeln, die ihren Weg aus mir heraus oder in mich hinein fanden. Mein Hals und Rachenraum war so durchgetrocknet, dass alles klebte, sobald ich den Mund zumachte. Selbst mein Zäpfchen klebte im Rachenraum und immer dann, wenn ich versucht habe zu schlucken, schluckte ich das Zäpfchen mit. Das führte zu einem unfassbaren Panikanfall und ich zerrte an meinen Fesseln und versuchte zu schreien, was nicht gelang. Irgendwann kam eine Schwester und ich konnte ihr nicht mitteilen, was los war. Ich erinnere mich daran festgehalten zu werden, jemand schreit: Herr Dieringer und dann ist alles wieder Schwarz. Etwas, das ich nie wieder im Leben erleben möchte.


Ein weiterer Erinnerungsblitz ist Weihnachten 2015 in Jerusalem. Ich bin mit Jose mittags um 12 rum angekommen. Unser Hotel war außerhalb der Altstadt an einer neuen Flaniermeile. Wir stellten unsere Koffer ab und machten uns sofort auf den Weg. Nach ungefähr 400 Metern kommen wir um eine Kurve und dann sehen wir die Mauern um die Altstadt. Es war einer der Ehrfurcht einflößenden Momente in meinem Leben. So fett, so prächtig, so voller Geschichte, so voller alles Mögliche. Plötzlich Schreie, immer mehr davon, rund 200 bis 300 Meter vor uns ein riesen Tumult. Wir hatten keine Ahnung was passiert ist. Dann aus anderen Richtungen Sirenen und es fallen Schüsse. Dann stehen wir vor der Mauer und 50 Meter links von uns liegen drei Tote auf der Erde. Ein Selbstmordattentäter hatte zwei Menschen erstochen und wurde in Folge von der Polizei erschossen. Ab diesem Moment war jede Sekunde in Jerusalem voller Anstrengung. Jeder Mensch der Dir entgegen kam wurde gescannt. Wie schaut der? Was macht der? Lieber einen Schritt zur Seite, bloß nicht auf jemanden zugehen. Weihnachten in Jerusalem war für mich alles andere als schön. Heilig Abend sitzen wir auf dem Hotelbett und singen Weihnachtslieder. Jose hatte mich quasi dazu gezwungen. Ich fand es total affig.


Weihnachten 1993 mit meinem ersten Freund. Es war das erste wirklich schöne Weihnachten in meinem Leben. Nach wie vor frisch verliebt sind wir tags zuvor einen Baum kaufen gegangen. In einer Kiste lagen ganz tolle Glaskugeln, die er im Laufe der Jahre gesammelt hatte. Wir entschieden uns für eine Farbe und schmückten den Baum. So, wie wir es beide mochten. Reduziert, mit tollen einzigartigen Kugeln, schönen Holzsternen, blauen Schleifen hier und da und Bienenwachskerzen. Es roch im ganzen Haus. Es war das erste Mal, dass ich einen Baum aufstellte. Es war das erste Mal, dass ein Baum aufgestellt wurde, ohne dass mein Stiefvater schimpfend und schreiend durch die Bude rannte und sich die Eltern, wie jedes Jahr beim Baumaufstellen in die Wolle bekamen. Über ein Jahrzehnt zelebrierten wir Weihnachten, auch in Costa Rica, auf den Malediven, in Südafrika, in Malaysia und alle den anderen Orten, wo wir Weihnachten verbracht haben. Zuhause in Berlin kamen an den Weihnachtstagen immer rund 15 bis 20 Personen zusammen. Wir redeten, wir lachten, wir hatten Spaß, es war Weihnachten, so wie es sein sollte. Über ein Jahrzehnt feierten wir uns, die Liebe, die Freundschaft.


Dann das erste Weihnachten ohne ihn. Es war die Hölle. Ich saß in meiner Wohnung am Heckmannufer und habe mittags schon angefangen zu kiffen, weil ich es nicht mehr ertragen habe. Kein Baum, keine Geschenke und all die gemeinsamen Freunde nicht mehr da. Wie das so ist. Freunde entscheiden sich für eine Seite. Dann habe ich die drauffolgenden Tage und Nächte zugedröhnt in verschiedenen Clubs der Stadt verbracht. Ich tanzte. Viele Stunden lang ohne einmal die Augen aufzumachen. Einfach Musik hören, im hier und jetzt. Das half und hat aus einem schrecklich einsamen Weihnachten auch etwas Besonderes gemacht. In dieser Nacht habe ich meinen Freund Alexeji aus Moskau kennengelernt. Als wir den Club verließen war es dunkel und es schneite dicke fette Flocken. Wir haben auf ein Taxi verzichtet und sind den ganzen Weg lang durch den frischen Schnee gelaufen und haben uns gefreut wie die kleinen Kinder. Zuhause angekommen wollten wir unbedingt in die Wanne. Als wie am nächsten Morgen erwachten, war die Wanne bis zum letzten Tropfen vor dem Überlaufen voll. Wer hat das Wasser abgestellt? Was haben wir gemacht? Nichts – bzw. wir wissen es nicht. Filmriss. Stille Nacht, heilige Nacht mit viel Schlaf.


Weihnachten 2002, ich war auf dem Weg zur Titanic. Unser Schiff strandete in Neufundland, weil wir Ersatzteile benötigten. In einer Bar habe ich meinen Freund Glenn kennengelernt. Wir trafen uns jeden Tag. Er zeigte mir die gesamte Stadt und irgendwann kannte mich jeder. Egal wo ich hin wollte, die Türsteher schauten ich nur an und meinten: you are Glenns friend from Germany, go in. Glenn war verliebt in mich, ich nicht. Aber ich mochte ihn sehr. An Weihnachten um 23 Uhr trafen wir uns in einer Bar. Es schneite wie im Bilderbuch. Der schnappte mich und zerrte mich ins Auto. „Komm, ich habe eine Überraschung für dich“. Ich antwortete: Ein weiterer Trick um mich in die Kiste zu bekommen?“ wir lachten viel. Er fuhr auf den Berg, wo eine riesige Kirche stand. Er war damals der jüngste Domorganist Kanadas. Er schloss auf, schaltete eine winzige Lampe an und verschwand in der Dunkelheit nach oben. Dann fing er an zu spielen und nach fünf Minuten saß ich unten auf der Bank und heulte, weil es so unfassbar schön war. Er spielte eine halbe Stunde lang …. Dann verabschiedeten wir uns und ich fuhr mit dem Schiff auf die Bermudas, weil wir keine Lust mehr auf das kalte Wetter hatten. Es hat 10 Jahre gedauert, bis wir uns wieder gesehen haben. Vor mir liegt eine Weihnachtskarte, die er mir dieses Jahr geschickt hat.


Weihnachten 2011, das erste Mal mit meinen Schwiegereltern. Ich habe selten in meinem Leben so viel gegessen, wie damals. Den ganzen Tag kamen und gingen die Freunde und Verwandte und immer gab es Kaffee, Kuchen, noch einen Kuchen, Mittagessen, Abendessen und immer wieder dazwischen: Jetzt iss doch was. Schau mal es gibt noch so viel. Abends wurden dann die Türen zum Wohnzimmer geschlossen. Die Eltern bereiteten sich auf die Bescherung vor. Dann ging die Tür auf und ich konnte nicht glauben was ich da sah. Das halbe Wohnzimmer war voller Pakte. Bunte, große, kleine und ich kam mir vor wie im Wunderland. Ich habe sowas noch nie gesehen gehabt. Und dann 6 Erwachsene und ein Kind und alle hatten funkelnde, strahlende Augen und man fühlte sich keinen Tag älter als acht Jahre. Man hat sich einfach nur gefreut. Jedes Geschenk etwas, das von Herzen kam, das überraschte, das in bleibender Erinnerung blieb, das man noch immer hat. Es war das erste von sechs Weihnachten. Jedes Jahr wurden die Geschenkberge größer. Das siebte Jahr, war dann das verflixte siebte Jahr. Ich wollte keine Geschenke mehr, ich wollte diesen Mann nicht mehr.


Weihnachten 2016. Das erste Weihnachten nach Joses Tod. Es ging mir beschissen. Ich wollte weg. Ich musste weg. Also flog ich nach Italien zu meiner Schwester. Die Tage wechselten sich mit vielen Erklärungen, Tränen, Hilflosigkeit aber auch viel Gelächter ab. Ich kaufte meiner Nichte ein Spiel, in dem man auf einen Knopf hauen musste, der ab und an eine Schleuder auslöste, die den Spielern Sahne ins Gesicht schleuderte. Alles vergessen. Was zählte war der bange Moment, ob die Schleuder auslöste. Erwachsene die mit dem Kind um die Wette kreischten und lachten. Lachen befreite und bei meiner Familie zu sein tat mir gut. Mein erstes Lachen nach 9 Monaten. Damals war es extrem kalt in Bologna. So kalt hatte ich die Stadt noch nie erlebt. Aber es war schön. Ich tat was ich immer tat. Ich lief viele Stunden kreuz und quer durch die Stadt bis ich dort endete, wo ich immer endete. Ich landete am Piazza Santo Stefano in der dortigen Le Siette Chiese – complesso di Santo Stefano , einer uralten Kirche, einem Kloster. Es ist mein Lieblingsort in der großen roten Stadt. Seit dem habe ich meine Familie nicht mehr gesehen. Dieses Jahr hatte ich Tickets, die ich mir schon im Februar gekauft hatte. Es sollte nichts schief gehen. Ich wollte sicher gehen, dass egal was geschieht ich kommen kann, weil ich die Tickets bereits habe. Dann kam Corona…


Mit Hans hatte ich mir vor zwei Tagen eine LGBT Film angesehen. Ein australisches Paar, das sich schon in Jugendjahren verliebte und 15 Jahre lang ein Paar waren, bis plötzlich Aids die Schwulen dahin raffte. Als ich Anfang der 90er nach Berlin kam, starben sie wie die Fliegen. Man konnte den Leuten in der Szene schon aus großer Distanz ansehen, dass sie todkrank waren. Wir waren auf vielen Bestattungen. Der ehemalige Mitbewohner meines Freundes hatte ebenfalls HIV. Ich glaube es war kurz vor oder nach Weihnachten, als sein Freund zu uns kam, um uns mitzuteilen, dass er die Nacht zuvor verstorben ist. Eine Woche zuvor waren wir noch zusammen spazieren. Er war nicht todkrank. Es ging ihm gut. Und dann wachte er einfach nicht mehr auf. Ich erinnere mich, wie ich in dem Jahr, als der Film Philadelphia auf der Berlinale gezeigt wurde mit 500 anderen heulenden Schwuppen zur Weltpremiere im Kino war und Tom Hanks persönlich anwesend war. Minutenlang Standing Ovation für einen, der den vielen Betroffenen ein Gesicht gegeben hat. Vier Stunden später schauten wir schon den nächsten Film mit dramatischem Ende. Damals schwor ich mir, niemals mehr einen Film mit Aids Thematik ansehen zu wollen. Ich habe mir seit dem auch nie wieder einen angesehen. Bis vor zwei Tagen. Die Beschreibung sprach nur von der ultimativen Herausforderung, die die beide bestehen müssten. Am Ende, das minutenlange sterben. Wir sitzen beide wie versteinert vor dem TV. Erinnern uns an Menschen, die es schon lange nicht mehr gibt. Denken an junge Menschen, denen HIV so scheißegal geworden ist, wie anderen eine Grippe. Sie haben nie einen sterben sehen. Sie haben nie einen Freund an die Krankheit verloren. Sie waren nie in Kneipen von Menschen umgeben, die nur noch einmal, das letzte Mal, ausgehen wollten.


Und jetzt, Weihnachten 2020. Man darf dieses und jenes nicht. Man trifft sich in ganz kleinem Rahmen und unser Freundeskreis ist froh darüber, dass keiner von uns allein hat sein müssen. Ich habe Bilder, ständig und laufend. Erinnerungen, die zu Kreisgedanken werden und dazwischen wirre Gedanken zu den Alltagsthemen. Jetzt bin ich wieder zu Hause, sitze am PC, schreibe u.a. eine Mail an eine Frau, die mir geschrieben hat und sagt, dass Ihre Bipolare Störung vielleicht eines Tages in den Suizid führen wird. Ich denke an eine Familie, mit der ich noch um 12 telefoniert habe und deren Vater und Opa gestern Mittag um 13 Uhr an Corona verstorben ist, und für die ich hoffentlich tröstliche Worte finden und schreiben werde. Dazwischen stopfe ich alle Kekse in mich rein, um am 1. Januar wieder einen zuckerfreien Haushalt zu haben, damit Teil zwei der Diät losgehen kann. Dann gibt es viele Gedanken zu Trees of Memory und dazwischen erreicht mich eine wirkliche tröstliche Nachricht, die mich darin bestätigt, dass alles gut ist, wie es ist, auch wenn das von dem einen oder anderen in Frage gestellt wird. Ich habe jemanden erreicht und ein wenig geheilt – das war die eine Person von Hundert. Die Eine, auf die es ankommt, nicht die gesichtslose schweigende Zahl an Followern. Nein, es war die, die ich erreichen wollte. Ich sollte gleich packen, weil ich mich rechtzeitig in die böllerlose Stille der Silvesternacht verziehen werde und damit dem Hund und mir was Gutes tun will. Ach ich muss auch noch schauen, ob mir Facebook endlich die Nachricht geschickt hat, in der sie bestätigen, dass ich nicht Urheber der Anzeige bin, die mich über 1000 Euro gekostet hat. Nein, sie haben noch nicht geantwortet. So wird also jede Meldung, die auf dem Handy mit einem Kling eingeht, einen weiteren angsterfüllten Herzschlag produzieren, weil ich fürchte, dass schon wieder Geld abgeräumt wurde, das ich nie wieder sehe. Trotz allem sitze ich hier. Ich lebe, ich lebe eine Vision. Ich gestalte einen Traum. Ich baue an einem großem Haus, das nicht für mich ist. Ich darf sein, wie ich nun mal bin. Mal ist es einfach, mal ist es schwer aber es ist stets erfüllend, auch wenn mir Nebenbaustellen das Leben schwer machen. Mir geht es gut. Kein emotionales Auf und Ab. Nur nervige Erinnerungen und den Wunsch wieder schöne Weihnachten erleben zu dürfen - irgendwie.


Und jetzt gegen Ende des Tages sitze ich in Gedanken an meinem Krankenbett in der Intensivstation, streichel mir selbst über den Kopf, lege die Hände auf meinen sich in Panik aufbäumenden Körper und versuche mich zu beruhigen und rufe nach der Schwester, sie möge mir endlich was zu trinken bringen und mich von den Fesseln befreien. Ich versuche mir zu sagen: Schau, alles wird gut. Du hast überlebt und wenn Du sehen könntest, was ich sehe, dein Herz würde Dir aufgehen. Doch wenn Du wüsstest, was noch alles auf Dich zukommt, Dein Lebenswille würde in Sekunden erlöschen. Aber ich sitze hier, ich halte dich und sage dir: Alles wird gut – nur anders gut.

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