Rubrik: Hilfe nach Suizid - Stigmatisierung nach einem Suizid: Wie man sich selbst schützt.
- Mario Dieringer
- 29. Jan.
- 3 Min. Lesezeit

Es ist ein Blick. Manchmal ein ungesagtes Wort. Oder die plötzliche Stille, wenn dein Name fällt. Suizid macht Menschen sprachlos, aber nicht immer aus Mitgefühl.
Ich habe ihn oft gesehen – diesen leeren Ausdruck, wenn jemand erfährt, dass mein Partner sich das Leben genommen hat. Ein kurzes Zucken in den Augen, ein feiner Riss in der Fassade der Freundlichkeit. Und dann? Schweigen. Oder schlimmer noch: Fragen, die sich als Anteilnahme tarnen, aber nichts weiter sind als ein Urteil im Gewand von Neugier.
"Hast du es kommen sehen?""Hättest du nicht irgendwas tun können?""War er krank? Und die ekelhafteste Frage von allen, oft als Erste gestellt: Wie hat er es gemacht?"
Sie fragen nicht, um zu verstehen. Sie fragen, um sich abzugrenzen. Um sich zu versichern, dass ihnen so etwas nicht passiert. Dass sie auf der sicheren Seite stehen, während du auf der anderen bist – der Seite derer, die zurückbleiben. Die Seite der Schuldigen.
Ja, Schuld. Sie ist der unsichtbare Stempel, den die Gesellschaft denen aufdrückt, die jemanden durch Suizid verloren haben. Als hätte man versagt. Als wäre man nicht genug gewesen, nicht aufmerksam genug, nicht liebevoll genug. Als wäre der Tod des anderen ein Spiegel der eigenen Unzulänglichkeit. Und plötzlich bist du nicht nur in Trauer – du bist auch Angeklagter. Ich wurde sogar als Mörder beschipft.
Wie schützt man sich?
Ich wünschte, es gäbe eine einfache Antwort. Eine Rüstung, die man sich überziehen kann, damit Worte nicht schneiden und Blicke nicht brennen. Aber es gibt keine. Es gibt nur dich – und die Entscheidung, wie viel Platz du den Urteilen anderer in deinem Leben gibst.
1. Erkenne die Unwissenheit
Die meisten Menschen haben keine Ahnung. Sie verstehen Suizid nicht. Sie verstehen nicht, wie Verzweiflung funktioniert, wie sie das Denken vernebelt, wie sie sich in den Körper frisst. Sie sprechen, weil sie nicht schweigen können. Und oft sagen sie damit mehr über sich selbst aus als über dich. Lass ihre Worte nicht zu deiner Wahrheit werden.
2. Wähle dein Umfeld bewusst
Es gibt Menschen, die wollen verstehen. Die bleiben. Die nicht wegsehen oder dich in Frage stellen. Finde sie. Halte sie fest. Und die anderen? Lass sie gehen. Wer dich in deiner verletzlichsten Zeit mit Vorwürfen oder Distanz bestraft, hatte ohnehin nie einen Platz in deinem Leben verdient.
3. Lerne, dich selbst zu verteidigen
Manchmal musst du es sagen. Klar und deutlich. Dass du keine Fragen beantworten wirst, die nur dem Voyeurismus dienen. Dass du keinen Raum für Schuldzuweisungen hast. Dass du nicht bereit bist, dich für etwas zu rechtfertigen, das du nicht zu verantworten hast.
Es wird Menschen geben, die damit nicht umgehen können. Lass sie. Dein Leben ist kein Gerichtssaal, in dem du dich für dein Überleben erklären musst.
4. Verzeihe dir selbst – immer wieder
Niemand hätte ihn oder sie aufhalten können. Das ist eine Wahrheit, die schmerzt, aber die du dir immer wieder sagen musst, bis sie dich nicht mehr innerlich zerreißt. Du hast geliebt. Du hast versucht zu helfen. Du bist geblieben.
Und du bist nicht verantwortlich für eine Entscheidung, die nicht deine war. Nicht verantwortlich für das letzte Symptom diverser psychischer Erkrankungen: den Suizid.
Der Weg nach vorne
Stigmatisierung ist eine zweite Wunde, die sich über die erste legt. Aber sie ist nicht tödlich. Was tödlich sein kann, ist das Schweigen, das sie hinterlässt – das Zurückweichen, das Zurückziehen aus Angst vor den Urteilen der anderen.
Aber du bist noch da. Und dein Leben gehört dir. Nicht denen, die urteilen. Nicht denen, die dich für den Schmerz verantwortlich machen, den du selbst kaum tragen kannst.
Also geh weiter. Und wenn du irgendwann wieder lachst – dann nicht, weil du vergessen hast, sondern weil du überlebt hast.
Und das allein ist ein großes, ein schönes und manchmal auch ein verdammtes Wunder. Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der mit der Stigmatisierung nach einem Suizid kämpft, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein




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