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Rubrik: Hilfe nach Suizid - Kleine Rituale der Erinnerung für den Alltag nach einem Suizid



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Es gibt Momente, in denen die Zeit stillsteht. Oder sich zumindest so anfühlt, als hätte sie jegliche Richtung verloren. Der Moment, in dem du erfährst, dass jemand gegangen ist – nicht einfach gegangen, sondern sich selbst aus der Welt gerissen hat – ist so ein Moment. Alles vorher scheint eine Lüge, alles nachher ein Schatten. Und du stehst dazwischen, in einer Lücke, die niemand sieht außer dir.


Die Zeit hilft, sagen sie. Die Zeit heilt, sagen sie. Bullshit. Die Zeit macht gar nichts, außer dich immer weiter von dem Moment wegzuschieben, in dem alles noch Sinn hatte. Und dann bist du da: im Alltag. Und der Alltag ist der wahre Feind. Nicht die großen Gedenkveranstaltungen, nicht die Tränen am Jahrestag, nicht der Geburtstag, der jetzt keiner mehr ist. Sondern die winzigen Sekundenbruchteile, in denen du aus Reflex zwei Tassen Kaffee machst. In denen du eine Nachricht tippen willst und dann mitten im Satz einfrierst, weil du weißt, dass du nie eine Antwort bekommen wirst.


Kleine Rituale sind Anker.  Sie halten dich fest, wenn du zu kippen drohst. Sie geben dir etwas in die Hand, wenn die Leere droht, dich zu verschlingen. Und vor allem: Sie lassen dich lieben, weiterlieben – über den Tod hinaus.


1. Die stille Tasse Kaffee

Morgens. Ein Löffel mehr in den Filter als nötig. Eine zweite Tasse, die neben deiner steht. Niemand trinkt sie, aber sie steht da. So wie der Mensch, den du verloren hast, immer irgendwo steht – in deinen Gedanken, in deinen Erinnerungen, in der DNA deiner Existenz.


2. Ein Lied, ein Moment

Bestimmte Lieder gehören Menschen. Du kennst das. Ein Song, und du bist wieder da, wo ihr wart: in diesem Auto, in dieser Bar, auf dieser Brücke, in diesem Raum, in dem ihr zuletzt zusammen wart. Hör es dir an. Jedes Mal, wenn es zufällig läuft, dreh es lauter. Oder leiser. Aber lauf nicht davor weg.


3. Die Nachricht, die niemand liest

Schreib weiter. Schreib an ihn, an sie, an die, die fehlen. Schreib, was du ihnen sagen würdest. Schreib in ein Notizbuch, auf dein Handy, auf einen Zettel, den du in eine Schublade wirfst. Es ist egal, ob es jemand liest. Manchmal geht es nicht um Antworten, sondern darum, dass die Worte raus müssen, damit du nicht daran erstickst.


4. Das Essen, das immer bleibt

Jeder Mensch hat ein Lieblingsessen. Und ja, es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube, wenn du es siehst oder riechst. Aber irgendwann wirst du es kochen. Vielleicht am Todestag. Vielleicht an irgendeinem Dienstag, der nach nichts schmeckt. Und wenn du es isst, dann wirst du mit ihm essen, mit ihr, mit ihnen.


5. Ein Ort, der spricht

Es gibt diesen einen Ort, an dem alles näher ist. Vielleicht ist es ein Friedhof, vielleicht eine Parkbank, vielleicht einfach dein Wohnzimmerstuhl oder ein Baum der Erinnerung, den du mit mir gepflanzt hast. Geh hin. Setz dich. Sprich laut, wenn du kannst. Oder schweig. Aber sei dort. Manchmal genügt es, einfach nur da zu sein.


6. Der blöde Sternenhimmel

Manche sagen, die Toten werden Sterne. Ist das kitschig? Mag sein. Aber manchmal hilft Kitsch. Manchmal hilft es, in den Himmel zu schauen und sich vorzustellen, dass irgendwo da oben etwas von ihnen geblieben ist. Und wenn nicht? Dann hilft es immer noch, einfach zu schauen.


Rituale sind keine Heilung.  Sie machen nichts rückgängig. Sie sind keine Antwort auf die große Frage nach dem Warum. Aber sie sind Brücken. Brücken zwischen dem Damals und dem Jetzt, zwischen dir und dem, was du verloren hast. Und sie erinnern dich daran, dass Liebe nicht endet, nur weil jemand gegangen ist. Sie bleibt. In jedem Schluck Kaffee, in jedem gespielten Lied, in jeder geschriebenen Nachricht, die nie jemand lesen wird und in dem Hühnchen auf gerösteten Kartoffeln, das José ständig gemacht hat.


Die, die wir lieben, verschwinden nie wirklich. Sie sind da, in den kleinen Dingen. In den kleinen Ritualen, die uns helfen, weiterzugehen. Schritt für Schritt. Tag für Tag. Und jetzt gehe ich in den Supermarkt, wieder ein paar Tulpen kaufen, denn die standen bei José immer auf dem Tisch. Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der kleine Rituale nach einem Verlust nötig hätte, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein

 
 
 

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