Rubrik: Hilfe nach Suizid - Geister-Trauer: Wenn der Tod nicht wirklich passiert
- Mario Dieringer
- 14. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt einen Punkt, an dem der Verstand kapituliert. An dem sich das Leben in ein Davor und ein Danach spaltet, aber das Danach sich weigert, real zu werden. Der Tod ist dann nur ein schief gelaufenes Missverständnis, eine Störung im System, die sich bald auflösen muss. Er fühlt sich nicht echt an, weil er sich verdammt nochmal nicht echt anfühlen darf.
Als mein Partner starb, hörte die Welt auf, sich in einer Sprache zu bewegen, die ich verstand. Ich erwartete, ihn noch zu hören, seine Schritte im Flur, sein Atem neben mir im Bett, die Art, wie er sich mit der linken Hand durch die Haare fuhr, wenn er nachdachte. Aber da war nichts. Nur das Echo eines Lebens, das nicht mehr existierte.
Und trotzdem wartete ich. Auf einen Anruf, auf eine Nachricht, auf einen gottverdammten Beweis, dass das alles ein Fehler war. Ich habe eine Woche lang seine Zahnbürste nicht angefasst, seinen Rasierer nicht bewegt, seine Schuhe im Flur so stehen lassen, als würde er jeden Moment zurückkommen. Ich habe sein Lieblingsessen gekocht, und als ich gemerkt habe, was ich da tat, ist mir das Messer aus der Hand gefallen.
Das Gehirn ist ein sadistisches Arschloch. Es weigert sich, den Tod in seiner ganzen Scheiß-Endgültigkeit zu akzeptieren. Weil es uns überfordert. Weil es uns zerreißt.
Das Trauma, das kein Ende findet
Die Psychologie nennt es „anhaltende Trauerstörung“, aber für mich war es eher ein Spuk. Mein Partner war weg, aber nicht wirklich. Ich hörte ihn manchmal meinen Namen sagen, nur um dann in einem Raum zu stehen, in dem niemand war. Ich drehte mich um, erwartete, dass er da wäre, aber er war es nicht. Er war nur ein Geist in meinem Kopf.
Und ich weiß, ich bin nicht der Einzige.
Viele Menschen, die einen geliebten Menschen durch Suizid verlieren, stecken fest zwischen dem Wissen und dem Fühlen. Sie verstehen mit dem Verstand, dass diese Person tot ist, aber das Herz kapiert es nicht. Oder weigert sich, es zu kapieren. Wir warten, halten an Routinen fest, als könnten wir die Realität zurückspulen. Es ist ein Schutzmechanismus, eine letzte Bastion gegen den Wahnsinn der Endgültigkeit.
Aber irgendwann kommt der Moment, in dem man sich eingestehen muss, dass niemand mehr zurückkommt.
Die Welt in Schichten
Ich habe Monate gebraucht, um seine Sachen anzufassen. Es war nicht nur das Loslassen – es war die Angst, dass, wenn ich seine Sachen wegräume, ich ihn endgültig verliere. Als ob das materielle Zeug das letzte Beweisstück wäre, dass er da war.
Und dann habe ich es trotzdem getan. Langsam, Schritt für Schritt. Ein Shirt nach dem anderen. Ein Buch nach dem anderen. Sein Lieblingsparfum. Ich habe es ein letztes Mal auf meine Handgelenke gesprüht, es eingeatmet, bis mir schlecht wurde.
Ich habe gelernt, dass der Tod uns in Schichten trifft. Erst ist er ein schlechter Witz, dann eine Fehlermeldung, dann ein Schlag ins Gesicht. Und dann ist er irgendwann das, was er ist: endgültig.
Und genau da beginnt die eigentliche Trauer.
Nicht mehr der Spuk, nicht mehr das Festhalten an Illusionen, sondern das wirkliche, schmerzhafte Begreifen, dass dieser Mensch nie wieder durch die Tür kommt. Dass er nicht mehr ist. Dass es nur noch die Erinnerungen gibt.
Es dauert, bis das Herz versteht, was der Verstand längst weiß. Und das ist okay. Aber irgendwann müssen wir aufhören, Geister zu rufen. Sie kommen sowieso nicht zurück.
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