Rubrik: Hilfe nach Suizid - Die Bedeutung von Unterstützungssystemen nach einem Verlust durch Suizid
- Mario Dieringer
- 15. Mai
- 4 Min. Lesezeit

Es gibt keinen Schmerz, der sich wie dieser anfühlt. Kein Verlust, der einen so unvorbereitet und gewaltsam aus dem eigenen Leben reißt. Suizid hinterlässt eine klaffende Wunde, einen Riss in der Realität, der sich nicht mehr flicken lässt. Die Zeit heilt nichts. Sie stopft nicht die Leere, sie füllt nicht die Abwesenheit, sie nimmt nicht die Fragen mit, die sich in jede gottverdammte Wachstunde fressen. Warum? Habe ich etwas übersehen? Hätte ich es verhindern können?
Die Wahrheit ist: Suizid ist ein Echo, das lange nachhallt. Es verwandelt sich in Schuld, in Wut, in hilfloses Kreisen um eine Vergangenheit, die sich nicht mehr ändern lässt. Und wenn dann das Umfeld, die vermeintlichen Freunde, sogar die Familie damit nicht umgehen kann, wenn plötzlich Menschen verstummen oder sich abwenden, dann stehst du mit dieser Geschichte allein da.
Aber genau das darf nicht passieren und doch geschieht es jeden Tag, womöglich auch bei dir, jetzt in diesem Moment.
Warum Unterstützungssysteme über Leben und Tod entscheiden
In der Trauer nach einem Suizid gibt es keine geradlinige Verarbeitung. Es gibt keine Fünf-Phasen-Theorie, die brav abgearbeitet wird, bis man irgendwann in "Akzeptanz" ankommt. Es gibt Brüche. Es gibt Rückfälle in Ohnmacht und Verzweiflung. Manchmal gibt es auch den Wunsch, hinterherzugehen. Weil es sich anfühlt, als hätte die Person, die gegangen ist, etwas erkannt, das man selbst noch nicht verstanden hat.
Und genau hier greifen Unterstützungssysteme ein. Oder sie sollten es zumindest.
Menschen brauchen Menschen. Das ist eine simple, aber brutal wahre Tatsache. Besonders in der Trauer. Besonders in dieser Art der Trauer. Wer jemanden durch Suizid verliert, braucht ein Netz, das auffängt, wenn man fällt. Und man fällt oft. Die richtigen Menschen sind nicht die, die mit billigen Phrasen kommen wie "Das wird schon wieder." oder "Er oder sie ist jetzt an einem besseren Ort." Nein. Die richtigen Menschen halten aus, wenn du zum hundertsten Mal erzählst, dass du nachts wach liegst und über die letzten Nachrichten nachdenkst. Die richtigen Menschen haben keine Angst vor deiner Wut, deiner Schuld, deiner Scham.
Aber wer hat diese richtigen Menschen schon automatisch um sich?
Gesellschaftliche Kälte und das Tabu des Suizids
Die Gesellschaft liebt Erfolgsgeschichten. Sie liebt Heilung. Sie liebt Heldengeschichten, in denen aus Schmerz Kraft wird. Aber was sie nicht liebt, ist das Chaos der echten Trauer. Der Schmutz, das Unkontrollierbare, das Hässliche daran. Suizid ist noch immer ein Tabu, und mit ihm die Trauer, die er hinterlässt.
Es gibt Menschen, die flüchten sich in Verdrängung, weil sie sich nicht mit der Dunkelheit beschäftigen wollen, die in jedem von uns lauert. Und dann gibt es die, die sich abwenden, weil sie Angst haben, dass Trauer ansteckend ist. Und dann stehst du da, in einem Raum voller Stille, voller Menschen, die dich nicht mehr anschauen, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen.
Und in dieser Stille stirbt etwas in dir.
Wer hält dich, wenn du fällst?
Der Schlüssel ist, sich Menschen zu suchen, die bleiben. Die sich nicht wegducken. Die sich nicht hinter belanglosen Smalltalk-Phrasen verstecken, sondern mit dir ins Dunkel gehen, ohne sich davor zu fürchten.
Manchmal sind das Freunde. Manchmal Familie. Aber oft sind es Menschen, die du noch gar nicht kennst. Menschen, die das Gleiche erlebt haben. Selbsthilfegruppen, Trauerbegleiter, Therapeuten oder Menschen, wie wir von TREES of MEMORY. Stimmen, die dich daran erinnern, dass du nicht verrückt wirst. Dass das, was du fühlst, normal ist.
Und es braucht mehr von diesen Orten. Es braucht Räume, in denen Menschen über Suizid sprechen dürfen, ohne dass ihnen sofort Schweigen entgegenschlägt. Räume, in denen Tränen, Wut, Zusammenbrüche erlaubt sind, ohne dass jemand die Augen abwendet.
Es braucht Unterstützungssysteme, die nicht auslösen, sondern aushalten. Die nicht reparieren wollen, sondern verstehen.
Wenn du diesen Text liest und dich darin wiederfindest
Vielleicht hast du jemanden verloren. Vielleicht stehst du an der Kante deiner eigenen Dunkelheit und fragst dich, ob du allein bist.
Du bist es nicht.
Da draußen gibt es Menschen, die verstehen, was in dir passiert. Die deine Fragen nicht für zu viel halten. Die deine Schuld nicht mit einem billigen "Du trägst keine Verantwortung" abbügeln, sondern mit dir gemeinsam aushalten, dass du dich trotzdem so fühlst.
Und wenn dein Umfeld dich nicht tragen kann, dann such dir ein anderes.
Es gibt Menschen, die bereit sind, mit dir durch dieses Chaos zu gehen. Manchmal sind es die, die selbst einmal gefallen sind und wissen, wie es ist, wieder aufzustehen.
Manchmal sind es die, die das Echo des Suizids selbst in sich tragen und gelernt haben, dass es eines Tages leiser wird.
Ich oder meine Kollegen vom Verein www.treesofmemory-ev.com sind solche Menschen. Wir halten dich aus, wir versuchen dich durch die Dunkelheit zu tragen. Wir haben erlebt, was du in diesem Moment erlebst.
Und bis es leiser wird, brauchst du jemanden, der mit dir durch den Lärm geht.
Finde diese Menschen.
Und wenn du gerade niemanden hast: Ich verspreche dir, sie sind da. Du musst nur den ersten Schritt machen. Schreib uns gerne. Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der kein Unterstützungssystem hat, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein




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