Rubrik: Hilfe nach Suizid / Trauerreisen: Wenn Bewegung die Seele rettet
- Mario Dieringer
- 9. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Menschen, die nach einem Verlust erstarren. Die das Haus nicht mehr verlassen, weil draußen eine Welt existiert, die sich weiterdreht, während ihre eigene stehengeblieben ist. Die in ihrer Stadt bleiben, in ihrer Wohnung, in denselben Straßen, in denen sich alles abgespielt hat – und die sich langsam in einem Kokon aus Erinnerungen verfangen.
Und dann gibt es die anderen. Die, die ihre Koffer packen, nicht weil sie verreisen wollen, sondern weil sie wegmüssen. Weil sie das Gefühl haben, dass sie in der Enge ihres Alltags ersticken. Weil sie glauben, dass sie irgendwo dort draußen, in einem fremden Land, auf einem unbekannten Weg, etwas wiederfinden können, das sie verloren haben.
Sie steigen in Züge, in Busse, in Flugzeuge, gehen Kilometer um Kilometer, als ob sich der Schmerz irgendwann von selbst abschütteln würde. Manche bleiben für eine Woche fort, andere für Monate, manche für immer.
Die heilende Kraft der Bewegung
Trauer sitzt fest. Sie bleibt im Körper stecken, in verspannten Schultern, in einer Brust, die sich nicht mehr richtig hebt. Wer sich nicht bewegt, bleibt in seinem Schmerz gefangen. Die, die gehen, verstehen das vielleicht nicht bewusst – aber sie spüren es.
Bewegung bringt etwas in Gang. Sie zwingt den Körper, zu atmen, die Muskeln zu aktivieren, den Blick auf etwas anderes zu richten als auf das leere Bett oder die verwaiste Zahnbürste im Bad. Bewegung schafft Distanz. Und manchmal ist genau diese Distanz nötig, um das Chaos im Kopf zu ordnen.
Es gibt Menschen, die in den Bergen wandern, weil der Aufstieg ihnen das Gefühl gibt, dass sie jeden Schritt verdienen müssen. Andere ziehen ans Meer, lassen sich von den Wellen hypnotisieren, bis ihre Gedanken ruhiger werden. Wieder andere suchen die Weite, laufen durch fremde Städte, setzen sich in Cafés, beobachten das Leben, das sie irgendwann wieder selbst führen wollen.
Ortswechsel als Neuanfang
Viele, die gehen, tun es, weil sie denken, dass ein neuer Ort sie heilen wird. Dass sie sich selbst irgendwo anders neu zusammensetzen können, dass das Leben an einem fremden Ort leichter wird. Manchmal stimmt das. Oft aber nicht.
Denn Trauer sitzt nicht in den Wänden eines Hauses. Sie reist mit, sitzt mit im Zug, im Flugzeug, im Bus. Man kann vor vielen Dingen davonlaufen, aber nicht vor sich selbst.
Doch ein Ortswechsel kann helfen, weil er einen zwingt, sich anders zu bewegen. Weil er Routinen durchbricht. Weil er Platz für neue Erinnerungen schafft, für Begegnungen, für Momente, die nicht mit dem Verlust belegt sind. Weil er zeigt, dass die Welt groß ist – größer als der Schmerz, auch wenn es sich lange nicht so anfühlt.
Warum manche in der Ferne heilen
Es gibt Menschen, die auf Reisen das erste Mal wieder lachen können, ohne sich schuldig zu fühlen. Die an einem fremden Strand sitzen und merken, dass das Leben nicht aufgehört hat. Dass es weitergeht, anders, aber weiter.
Andere merken erst in der Ferne, wie sehr sie sich selbst verloren haben. Sie stehen inmitten von Schönheit, in einer Landschaft, die atemberaubend ist – und fühlen nichts. Und genau das wird zum Wendepunkt. Weil sie begreifen, dass sie nicht für immer so bleiben wollen.
Manche bleiben an einem neuen Ort. Sie bauen sich ein anderes Leben auf, weil das alte nicht mehr zu ihnen passt. Andere kehren zurück – und nehmen eine neue Sichtweise mit. Sie haben sich nicht selbst am Flughafen abgegeben, aber sie haben etwas gefunden, das ihnen hilft, weiterzugehen.
Bewegung als Trauerarbeit
Manchmal ist das Einzige, was hilft, ein Schritt nach vorne. Dann noch einer. Und noch einer.
Es geht nicht darum, dem Schmerz zu entkommen. Es geht darum, ihn in Bewegung zu bringen. Ihn mitzunehmen, ihn nicht mehr als Feind zu betrachten, sondern als Teil des Weges.
Wer trauert, muss nicht reisen. Aber wer reist, während er trauert, findet manchmal etwas, das er an einem einzigen Ort nicht hätte finden können: die Erkenntnis, dass Veränderung möglich ist. Und dass Heilung nicht bedeutet, zurückzuschauen, sondern weiterzugehen.
Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der mit einem Verlust zu kämpfen hat, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein #hilfefürsuizid




Kommentare