Rubrik: Hilfe nach Suizid / Flashbacks: Wenn die Vergangenheit nicht ruhen will
- Mario Dieringer
- 4. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Manchmal reißt es dich einfach um. Du stehst an der Kasse im Supermarkt oder bist gerade dabei, deinen Kaffee umzurühren, und plötzlich rauscht die Erinnerung wie ein verdammter Orkan durch deinen Kopf. Dann sitzt du da, innerlich festgenagelt an einen Moment, der längst vergangen sein sollte – aber es fühlt sich an, als wäre er jetzt. Genau hier. Genau in diesem Augenblick.
Ich kenne diese Augenblicke nur zu gut. Als wäre die Zeit eine Laune der Natur, die mich in eine Schleife schickt, aus der ich nicht rauskomme. Die Bilder sind grell, die Geräusche laut, und mein Körper reagiert, als wäre ich in akuter Gefahr. Adrenalin ballert durch meine Adern, mein Herz schlägt wie verrückt. Und ich kann kaum atmen.
Die Wahrheit ist: Wir sind nicht mehr dort
Aber das Problem ist, mein Kopf glaubt, wir wären noch da. Er hat nicht kapiert, dass die Situation vorbei ist. So funktioniert Trauma. Es ist wie ein Brandmal im Nervensystem, das ständig Alarm schlägt.
Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass ich mir Hilfe holen musste. Ich bin kein Psychologe, Suizidforscher und Betroffener in Personalunion, und selbst wenn, manchmal kann man sich selbst am wenigsten helfen. Also bin ich zu jemandem gegangen, der mich bei der Hand nahm, wenn die Erinnerungen mich wieder in ihre Klauen kriegen wollten und mir ein paar Tipps gab.
Methoden aus der Traumatherapie
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
Klingt im ersten Moment wie ein Science-Fiction-Konzept. Aber es funktioniert. Du folgst mit deinen Augen einem Punkt hin und her, während du dich an das schmerzhafte Ereignis erinnerst. Und nach und nach, langsam und zermürbend, verliert das Bild seine Macht. Als würde jemand den Horrorlärm leiser drehen.
Somatic Experiencing
Hier geht es darum, den Körper einzubeziehen. Die Therapeutin hat mich immer wieder gefragt: „Wo spürst du das gerade?“ Und ich spürte es: in den Schultern, im Bauch, in den Beinen, die zittern wollten, wegrennen wollten. Stattdessen lernte ich, diesen Impulsen Raum zu geben, ohne mich darin zu verlieren.
Achtsamkeits- und Atemübungen
Manchmal ist es so simpel, dass es schon lächerlich klingt. Tief durch die Nase einatmen, langsam durch den Mund ausatmen. Klingt banal, aber glaub mir, wenn dein Herz rast wie verrückt, kann kontrolliertes Atmen das Einzige sein, was dich daran erinnert, dass du hier bist, im Jetzt.
Exposition und Imagination
Dieser Teil ist hart. Du stellst dich deinen Erinnerungen bewusst, tauchst hinein, lässt sie da sein, ohne wegzulaufen. Und in diesem kontrollierten Rahmen lernst du, dass du es überlebst. Dass du nicht stirbst, wenn du dich erinnerst.
Bodyscan und Grounding
Wenn’s richtig schlimm wird, kann es helfen, sich auf die Umgebung zu konzentrieren. Was sehe ich? Was höre ich? Was fühle ich auf meiner Haut? Ich zähle fünf Dinge auf, die ich wahrnehme, und das verankert mich im Hier und Jetzt.
Philosophie und Pragmatismus
Wie Rumi einst sagte: „Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eintritt.“ In meiner Sprache heißt das: Genau da, wo es am meisten wehtut, können wir am stärksten wachsen. Aber nur, wenn wir uns dem Schmerz stellen, wenn wir nicht davor weglaufen.
Der Stoiker Seneca hätte wohl gesagt: „Wenn du den Sturm nicht besiegen kannst, lerne, mit ihm zu segeln.“ In meiner Welt bedeutet das: Ich kann die Flashbacks nicht einfach ausknipsen, aber ich kann lernen, ihnen zu begegnen, ohne mich komplett zu verlieren.
Der Weg durch die Dunkelheit
Es ist ein Prozess. Und ja, es gibt Tage, da denkst du, du hast alles im Griff, und dann kommt ein Geruch, ein Lied oder ein Wort, das dich komplett aus der Bahn wirft. Das ist scheiße und frustrierend. Aber es ist normal. Auch jetzt bald 10 Jahre nach dem Suizid meines Partners.
Manchmal hilft es, laut zu werden, zu fluchen, zu schreien. Manchmal braucht es einfach jemanden, der dich in den Arm nimmt, während du zitternd da sitzt und wartest, bis das Gewitter im Kopf vorüberzieht.
Ich bin kein Freund von Illusionen: Die Narben bleiben. Aber sie können verblassen. Und du kannst lernen, in ihnen nicht nur Schmerz, sondern auch deine eigene Stärke zu sehen.
Mein Fazit
Trauma ist wie ein Schatten, der dich verfolgt. Doch wenn du ihm ins Gesicht siehst, verliert er nach und nach seine Kraft. Jede Therapiemethode ist ein Werkzeug, das dir hilft, das Monster in dir zu bändigen. Du musst nur den Mut haben, es auszuprobieren.
Und wenn die Flashbacks wiederkommen – was sie verdammt nochmal oft tun werden – dann erinnere dich daran, dass du nicht mehr dort bist. Du bist hier. Im Jetzt. Und jeder Atemzug, den du bewusst nimmst, ist ein Schritt weg vom Abgrund, hin zu dir selbst.
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