Rubrik: Hilfe nach einem Suizid - Trauma und Suizid: Wann professionelle Hilfe wichtig ist.
- Mario Dieringer
- 17. Apr.
- 4 Min. Lesezeit

Ich dachte Gott sei Dank nur für einen winzigen Moment, ich könnte das allein. Dass die Zeit Wunden heilt. Dass ich einfach weitermachen kann, wenn ich nur stark genug bin. Bullshit. Die Zeit heilt gar nichts. Sie setzt sich ab wie Staub auf alten Möbeln, und wenn du einmal kräftig pustest, dann ist wieder alles da – der Schmerz, die Bilder, die Stimmen in deinem Kopf.
Ich weiß nicht mehr, wann genau ich aufgehört habe zu glauben, dass das Leben für mich funktioniert. Vielleicht war es ein Jahr nach seinem Tod, vielleicht war es aber auch schon lange vorher. Vielleicht war ich einfach ein wandelndes Wrack auf Standby, bis der richtige Moment kam, um endgültig zu zerbrechen. Und der Moment kam - Stück für Stück.
Trauma ist ein fieser Bastard. Er frisst sich in deine Haut, legt sich in deine Knochen, setzt sich in deine Erinnerungen wie ein Parasit, der sich von deinen guten Tagen ernährt. Und dann kommt der Moment, in dem du spürst, dass du nicht mehr kannst. Dass du einfach nur noch willst, dass es aufhört. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Das dumpfe Pochen in der Brust, die innere Kälte, das „Ich kann nicht mehr“-Mantra, das durch deinen Kopf hämmert, bis du selbst daran glaubst.
Und genau da beginnt der gefährlichste Punkt. Wenn du anfängst zu glauben, dass der Tod die einzige Lösung ist. Wenn du denkst, dass niemand versteht, was in dir passiert. Wenn du anfängst, das Leben zu einem langen, zähen Abschied zu machen.
Lass mich dir eines sagen: Das ist der Moment, in dem du dringend Hilfe brauchst. Nicht morgen, nicht nächste Woche. Jetzt.
Ja, professionelle Hilfe kann beängstigend sein. Sich jemandem öffnen, der dich nicht kennt, kann sich anfühlen wie ein Sprung ins eiskalte Wasser. Aber weißt du, was noch beängstigender ist? Das Gefühl, dass du allein damit bist. Dass du nicht mehr kämpfen kannst, weil du keine Kraft mehr hast.
Ich habe zu lange gewartet. Ich dachte, niemand könnte mir helfen. Ich dachte, wenn ich einfach die Zähne zusammenbeiße, dann würde es irgendwann besser werden. Und weißt du was? Das ist die größte Lüge, die dir dein eigenes Trauma einflüstern kann. Wenn ich ehrlich bin, bräuchte ich jetzt, neun Jahre nach Joses eine explizite Traumatherapie. Aber ich finde niemanden, habe nicht die Energie und die Zeit zu suchen. Habe nicht die Möglichkeit, weil ich ja mit TREES of MEMORY unterwegs bin. Ich hatte den Fehler gemacht, eine normale Psychotherapie zu machen und habe nicht gedacht, dass sich dieses Drama zu einem eigenen Trauma ausweiten würde. Mache nicht denselben Fehler.
Es gibt einen Punkt, an dem du erkennen musst, dass du es allein nicht mehr schaffst. Dass du jemanden brauchst, der dir hilft, all die losen Enden zusammenzuknoten, die dein Kopf nicht mehr ordnen kann. Einen Therapeuten, eine Klinik, eine Selbsthilfegruppe – scheißegal. Hauptsache, du redest. Hauptsache, du suchst dir jemanden, der das Chaos in dir mit dir sortiert.
Suizid ist keine Entscheidung. Er ist das Endstadium eines ungeheilten Schmerzes. Ein Punkt, an dem du keine Alternativen mehr siehst, weil dein Kopf sie längst ausgeblendet hat. Und genau deshalb brauchst du Hilfe. Weil es Alternativen gibt, die du in diesem Moment nicht siehst.
Ich hätte damals jemanden gebraucht, der mir sagt: „Komm, wir machen das zusammen.“ Ich hatte niemanden. Aber du hast mich zum Reden, aber nicht als Traumatherapie-Ersatz. Und wenn du nichts anderes aus diesem Text mitnimmst, dann nimm wenigstens das: Du bist nicht allein. Und du kannst Hilfe bekommen, bevor es zu spät ist.
Hör auf zu warten.
Jetzt.
Hier ist eine Liste von Symptomen, die auf ein Trauma hinweisen können:
Emotionale Symptome:
Flashbacks – Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Gedanken oder Bildern
Albträume – Wiederkehrende belastende Träume über das Trauma
Emotionale Taubheit – Gefühl von innerer Leere oder Gleichgültigkeit
Überwältigende Angst oder Panikattacken
Scham- oder Schuldgefühle – Oft ohne ersichtlichen Grund oder übermäßige Selbstvorwürfe
Wut- und Aggressionsausbrüche – Unkontrollierte oder unangemessene Reaktionen auf bestimmte Situationen
Depressive Verstimmung – Anhaltende Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Rückzug
Kognitive Symptome:
Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren – Zerstreutheit, Vergesslichkeit
Negative Gedanken über sich selbst oder die Welt
Gefühl der Entfremdung – Als ob man nicht richtig anwesend wäre (Derealisation, Depersonalisation)
Selbstzerstörerische Gedanken oder Suizidgedanken
Intrusive Erinnerungen – Unkontrollierbare Gedanken oder Bilder des Erlebten
Körperliche Symptome:
Chronische Anspannung oder Muskelverspannungen
Schlafstörungen – Schwierigkeiten beim Einschlafen oder Durchschlafen
Übermäßige Schreckhaftigkeit – Heftige Reaktionen auf plötzliche Geräusche oder Berührungen
Magen-Darm-Probleme – Übelkeit, Durchfall, Reizdarmsyndrom
Kopfschmerzen oder chronische Schmerzen – Ohne medizinische Ursache
Erschöpfung oder dauerhafte Müdigkeit – Selbst nach ausreichend Schlaf
Verhaltenssymptome:
Sozialer Rückzug – Isolation oder Vermeidung von Menschen und Aktivitäten
Selbstverletzendes Verhalten – Schneiden, Verbrennen oder andere Formen der Selbstschädigung
Vermeidungsverhalten – Orte, Menschen oder Situationen, die an das Trauma erinnern, werden gemieden
Suchtverhalten – Übermäßiger Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum zur Betäubung der Gefühle
Übermäßiges Arbeiten oder Ablenkungssuche – Vermeidung von Ruhephasen, um Gedanken zu entfliehen
Falls du oder jemand, den du kennst, sich in mehreren dieser Symptome wiedererkennt, ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Trauma heilt nicht durch Zeit allein – es braucht Raum, Verständnis und Unterstützung. Noch ein Tipp. Jedes Symptom ist gleichzusetzen mit 4,3 % von 100. Zähle alle deine Symptome zusammen, multipliziere mit 4,3 und dann hast du einen ungefähren Wert, wie nahe du evtl. an einem Trauma sein könntest und wie dringend Hilfe anzuraten wäre.
Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der mit einem Trauma nach einem Suizid kämpft, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein




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