Rubrik: Hilfe nach Suizid - Die Frage nach dem Warum: Umgang mit unbeantwortbaren Fragen nach einem Suizid.
- Mario Dieringer
- 3. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Fragen, die schreien. Die in deinem Kopf wie ein wütendes Kind gegen die Wände treten, bis du fast wahnsinnig wirst. Warum? Warum hat er oder sie es getan? Warum hat sie nicht mit mir gesprochen? Warum habe ich es nicht gesehen? Warum zur Hölle bin ich noch hier?
Diese Fragen haben mich aufgefressen. Sie saßen in meinem Nacken, wenn ich versucht habe zu schlafen. Sie krochen in meine Träume, wenn ich betrunken genug war, um überhaupt einzuschlafen. Und sie haben mich am Morgen in die Knie gezwungen, wenn das Bett leer war.
Ich kenne diesen Kampf. Ich habe ihn geführt. Immer und immer wieder. Und die Wahrheit ist: Es gibt keine Antwort, die uns retten kann.
Das Gift der Unwissenheit
Es ist die Natur des Menschen, Antworten zu suchen. Wir sind verdammt dazu, in Mustern zu denken. Ursache, Wirkung, Konsequenz. Wir versuchen, die Fäden eines zerbrochenen Lebens zusammenzuhalten, um daraus irgendeine Art von Sinn zu weben. Aber wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, hinterlässt er einen Riss in dieser Logik. Ein Loch, das kein „weil“ ausfüllen kann.
Ich habe damals jede Nachricht gelesen, jede Mail, jedes verdammte Wort, das er jemals geschrieben hat. Ich habe mir alte Gespräche angehört, in der Hoffnung, einen Satz, ein Wort, ein Zögern zu finden, das mir die Antwort gibt. Aber es gab nichts. Nur ein Echo aus Schweigen und Schmerz.
Und dann kam die Erkenntnis: Das Warum ist nicht zu greifen. Es ist wie Rauch, der durch die Finger rinnt. Und selbst wenn du es fängst, bleibt es ein Schatten, eine Täuschung.
Die Schuldfrage: Ein Konstrukt der Verzweiflung
Ich habe mich selbst verdammt. Ich habe mich verflucht, weil ich nicht da war. Weil ich nicht genug geliebt habe, nicht genug gekämpft habe, nicht genug gespürt habe. Schuld ist ein Hund, der dich in Stücke reißt, wenn du ihm die Tür öffnest.
Aber Schuld ist nicht real. Sie ist nur die hässliche Schwester der Ohnmacht. Wir geben uns die Schuld, weil es einfacher ist, als die Wahrheit zu akzeptieren: Dass wir keine Götter sind. Dass wir Menschen nicht retten können, wenn sie nicht gerettet werden wollen oder wenn sie ihre Kämpfe alleine führen müssen.
Jeder, der so etwas erlebt hat, kennt die Sätze: "Hättest du doch mal angerufen." – "Hast du es nicht gemerkt?" – "Hast du genug geliebt?" Diese Sätze sind Gift. Sie sind Lügen, die wir uns erzählen, um Kontrolle über etwas zu bekommen, das längst außer Kontrolle geraten ist.
Der Weg aus dem Dunkel
Es gibt keinen einfachen Weg durch diesen Schmerz. Keine billige Erleuchtung. Kein blödes Mantra, das dich heilt. Aber es gibt Bewegung. Langsam. Schwer. Wie das erste Luftholen nach einer langen Nacht.
Ich habe irgendwann aufgehört, nach Antworten zu suchen, die nicht existieren. Ich habe stattdessen begonnen, die Geschichte anders zu erzählen. Nicht als ein Warum, sondern als ein Was jetzt?
Was jetzt, wo der Mensch, den ich geliebt habe, nicht mehr da ist? Was jetzt, wo ich mit dieser Leere leben muss? Was jetzt, wo mich niemand retten wird außer mir selbst?
Der Schmerz wird bleiben. Aber er verändert sich. Er wird nicht leichter, aber er wird tragbarer. Irgendwann wird er nicht mehr dein Feind sein, sondern dein Begleiter.
Und wenn du irgendwann in den Himmel schaust – nicht auf der Suche nach Antworten, sondern einfach, weil der Himmel manchmal schön ist – dann wirst du wissen: Du hast überlebt.
Wenn dich dieser Beitrag berührt hat oder du jemanden kennst, der mit dem Warum nach einem Verlust kämpft, dann teile ihn, kommentiere und schreibe mir deine Gedanken oder speichere ihn für später. Manchmal kann genau diese eine Nachricht den Unterschied machen – für dich oder für jemanden, der sie dringend braucht. Lass uns gemeinsam ein Zeichen setzen: Niemand muss diese Last allein tragen. 💙 #DuBistNichtAllein
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